Zur Disqualifizierung eines Pferdes im Galopprennsport

OLG Köln, Urteil vom 05.06.2007 – 3 U 211/06

Entscheidungen der Rennleitung und des Renngerichts über die nachträgliche Disqualifizierung eines Pferdes im Galopprennsport können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der abzuweichen der Senat keine Veranlassung sieht, in Anwendung des § 661 Abs.2 S.2 BGB nicht auf ihre sachliche Richtigkeit nachgeprüft werden, und zwar selbst dann nicht, wenn eine Partei geltend machen sollte, die Entscheidung sei offenbar unrichtig; nachprüfbar ist allenfalls das Verfahren, soweit es sich um schwerwiegende Mängel handelt, die offensichtlich auch die Entscheidung selbst beeinflusst haben (Rn.3)

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unterliegen Ordnungsmaßnahmen von privatrechtlich organisierten Verbänden einer Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte dahin, dass diese Entscheidungen im Gesetz und in wirksamen – ihrerseits der Inhaltskontrolle auf ihre Angemessenheit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben unterliegenden – Bestimmungen des maßgeblichen vereinsinternen Regelwerks eine Grundlage finden müssen; gewährleistet sein muss auch die Einhaltung eines elementaren, rechtstaatlichen Normen und der eigenen Verfahrensordnung des Verbandes entsprechenden Verfahrens, die Fehlerfreiheit der dem Spruch zugrundeliegenden Tatsachenermittlungen sowie bei sozial mächtigen Verbänden die Billigkeit der Entscheidung (Rn.6)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29.11.2006 (4 O 39/06) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses. Sie mag innerhalb der Frist mitteilen, ob die Berufung zur Vermeidung weiterer Kosten zurückgenommen wird.

Gründe
1

Die zulässige Berufung hat nach dem gegebenen Sachstand keine Aussicht auf Erfolg. Da die zugrunde liegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung durch Urteil auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl. § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO), soll über das Rechtsmittel durch Beschluss entschieden werden.
2

Die Klägerin kann nicht, wie im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, verlangen, dass ihr Pferd “M T” unter Aufhebung der Entscheidungen der Rennleitung vom 28.08.2005 und des Renngerichts vom 05.10.2005 zum Sieger des Rennens “28.08.2005, H Q” am 28.08.2005 in C erklärt wird; auch die hilfsweise begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Entscheidungen der Rennleitung vom 28.08.2005 und des Renngerichts vom 05.10.2005 kommt nicht in Betracht. Denn die entsprechenden Entscheidungen der Rennleitung und des Renngerichts sind unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhalts aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
3

1. Entscheidungen der Rennleitung und des Renngerichts über die nachträgliche Disqualifizierung eines Pferdes im Galopprennsport können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der abzuweichen der Senat keine Veranlassung sieht, in Anwendung des § 661 Abs.2 S.2 BGB nicht auf ihre sachliche Richtigkeit nachgeprüft werden, und zwar selbst dann nicht, wenn eine Partei geltend machen sollte, die Entscheidung sei offenbar unrichtig; nachprüfbar ist allenfalls das Verfahren, soweit es sich um schwerwiegende Mängel handelt, die offensichtlich auch die Entscheidung selbst beeinflusst haben (BGH NJW 1966, 1213; ebenso für einen Wettflug von Brieftauben OLG Hamm, SpuRt 1999, 66 f.).
4

Hiervon ausgehend erweist sich die landgerichtliche Entscheidung als richtig, denn jedenfalls der letztlich maßgeblichen Entscheidung des Renngerichts liegt hinsichtlich der tatsächlichen Laufwege der beteiligten Pferde unstreitig ein zutreffender Sachverhalt zugrunde; gerügt wird mit der Berufungsbegründung allein, dass dieser Sachverhalt die vom Renngericht auf einen Verstoß gegen Nr.625 RO gestützte Disqualifizierung von “M T” nicht rechtfertige. Eine derartige Überprüfung ist den ordentlichen Gerichten jedoch nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich untersagt (ebenso Lindemann, SpuRt 1994, 17 ff., 22, 23; Staudinger-Bergmann, 2006, § 661 Rn35); ein insoweit allenfalls noch beachtlicher Verstoß gegen den ordre public (dazu vgl. Staudinger-Bergmann, 2006, § 661 Rn35) liegt offensichtlich nicht vor.
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2. Selbst wenn man aber hiervon abweichend eine weiter gehende Überprüfung der Entscheidungen der Rennleitung und des Renngerichts im Hinblick auf den mit der Disqualifizierung verbundenen Strafcharakter bejahen würde, ergäbe sich im vorliegenden Fall nichts Anderes.
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a. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes unterliegen Ordnungsmaßnahmen von privatrechtlich organisierten Verbänden einer Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte dahin, dass diese Entscheidungen im Gesetz und in wirksamen – ihrerseits der Inhaltskontrolle auf ihre Angemessenheit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben unterliegenden – Bestimmungen des maßgeblichen vereinsinternen Regelwerks eine Grundlage finden müssen; gewährleistet sein muss auch die Einhaltung eines elementaren, rechtstaatlichen Normen und der eigenen Verfahrensordnung des Verbandes entsprechenden Verfahrens, die Fehlerfreiheit der dem Spruch zugrundeliegenden Tatsachenermittlungen sowie bei sozial mächtigen Verbänden die Billigkeit der Entscheidung (BGHZ 128, 93 ff. zur Verhängung von Bußgeldern durch einen Sportverband). Die Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die herangezogene Vorschrift gehört insoweit grundsätzlich zu den Maßnahmen, die ein Verein in Ausübung seiner Vereinsgewalt eigenverantwortlich zu treffen hat und die gerichtlich daher nur in engen Grenzen nachprüfbar sind; dabei ist der dem Verein zuzubilligende Beurteilungsspielraum allerdings umso eingeschränkter, je wichtiger die Entscheidung für den Betroffenen ist (BGH NJW 1997, 3368 ff. zum Ausschluss eines Mitglieds aus einem rechtsfähigen Verein).
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b. Hier ist schon fraglich, ob es sich bei der hier streitigen Disqualifizierung überhaupt um eine Ordnungsmaßnahme im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt. Dagegen spricht aus Sicht des Senates, dass der Bundesgerichtshof seine frühere Rechtsprechung (BGH NJW 1966, 1213) hier nicht ausdrücklich aufgegeben, sondern im Gegenteil die Einhaltung der Spiel- bzw. Wettkampfregeln von einer derartigen Überprüfung gerade ausgenommen hat (a.A., den Charakter einer Ordnungsmaßnahme im Falle der Disqualifizierung bejahend allerdings Pfister/Steiner, Aktuelles Sportrechtslexikon, zitiert nach SpuRt 2000, 109; allgemein, auch soweit es sich nicht um Ordnungsmaßnahmen handelt, eine Überprüfung durch die staatlichen Gerichte bejahend Summerer, in: Fritzweiler, Pfister, Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, 1998, Rn352 ff., 353). Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, weil die Entscheidung des Renngerichts auch bei Anwendung dieser strengeren Maßstäbe aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist (s.u. c.).
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c. Entgegen der Ansicht der Klägerin erweisen sich die Entscheidungen der Rennleitung und des Renngerichts unter Anlegung dieser Maßstäbe jedenfalls als vertretbar.
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aa. Unstreitig wurde der Sachverhalt hinsichtlich der Laufwege der beteiligten Pferde zutreffend ermittelt; etwaige Verfahrensverstöße können sich daher auf die Sachverhaltsermittlung schon nicht entscheidend ausgewirkt haben.
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bb. In Nr.625 RO, dessen Wirksamkeit die Berufungsbegründung mit Recht nicht mehr in Zweifel zieht, findet sich eine ausreichende verbandsrechtliche Grundlage für eine Disqualifizierung, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sind.
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cc. Davon, dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt waren, ist das Renngericht in vertretbarer, eine Unbilligkeit im oben genannten Sinne ausschließenden Weise ausgegangen. Die Berufungsbegründung selbst geht davon aus, dass es entscheidend darauf ankomme, ob ein Abdrängen ohne Körperkontakt willkürfrei unter die Voraussetzungen der Nr.625 RO subsumiert werden kann; diese Frage ist zu bejahen. Nach dem Wortsinn kann “Behinderung” verstanden werden als nachhaltige Beeinträchtigung fremden, beabsichtigten Verhaltens; Gefährdung oder Schädigung sind nicht Voraussetzung einer Behinderung in diesem Sinne (vgl. BGHSt 34, 238 ff. zu § 1 StVO). Ein Abdrängen ohne Körperkontakt fällt danach ohne weiteres unter den möglichen Wortsinn der Vorschrift. Dass eine Behinderung auch im Sinne der Nr.625 RO nicht zwingend einen Körperkontakt voraussetzt, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass auch das ohne Körperkontakt erfolgende verbotene Kreuzen im Sinne der Nr.625 RO ebenfalls zur Disqualifikation führen kann; die in Nr.625 RO vorgesehene Rechtsfolge der Disqualifikation ist daher ersichtlich nicht an einen Körperkontakt zwischen den Pferden und/oder Reitern geknüpft. Im Übrigen bestand hier nach den auch von der Berufungsbegründung nicht angegriffenen Feststellungen des Renngerichts die konkrete Gefahr einer Kollision der beiden Pferde, falls “T B” mit maximaler Geschwindigkeit auf kürzestem Wege zum Ziel geritten worden wäre anstatt sich dem Laufweg von “M T” anzupassen; dass hierin eine Behinderung “von einigem Gewicht” gesehen werden kann, die die Klägerin bei angeblich gebotener restriktiver Auslegung des Begriffes der Behinderung im Sinne der Nr.625 RO für erforderlich hält, liegt auf der Hand. Darauf, ob das Verhalten von Pferd und Jockey der Klägerin insoweit weder als “brutal” noch als “rücksichtslos” einzustufen ist, kommt es demgegenüber nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht an. Ist somit eine Qualifizierung des Verhaltens von “M T” sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift möglich, so ist es, wie schon das Landgericht mit Recht hervorgehoben hat, nicht Aufgabe der staatlichen Gerichte, sondern der Sportverbände und ihrer Gerichtsbarkeit, im Einzelnen festzulegen, was galoppsportspezifisch schon als Behinderung im Sinne der Nr.625 RO anzusehen ist und was noch nicht. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Vereinsautonomie des Beklagten ist eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung von Verbandsgerichten jedenfalls in diesem Kernbereich, um den es hier geht, unzulässig (LG Stuttgart, SpuRt 2002, 245 ff., Fall “Baumann”; ebenso im Ansatz OLG Frankfurt, SpuRt 2000, 197 f., ebenfalls im Fall “Baumann”). Soweit die Berufungsbegründung darüber hinaus rügt, jedenfalls eine Beeinflussung des Rennverlaufs sei entgegen den Feststellungen des Renngerichts auszuschließen, so dass die Voraussetzungen der Nr.625 RO insoweit nicht vollständig vorgelegen hätten, dringt sie auch damit nicht durch. Insoweit gilt zunächst das oben zur fehlenden Prüfungskompetenz der staatlichen Gerichte Ausgeführte entsprechend. Im Übrigen kann aber entgegen der Ansicht der Berufungsbegründung auch nicht allein darauf abgestellt werden, dass gegenüber einer gedachten geraden Linie zum Ziel lediglich 8cm mehr zurückgelegt werden mussten, während der Vorsprung von “M T” auf “T B” von Beginn der (angeblichen) Behinderung an durchgehend und auch im Ziel noch mindestens einen Meter betrug. Diese Auffassung der Berufungsbegründung liefe darauf hinaus, eine (mögliche) Beeinflussung des Rennergebnisses immer dann zu verneinen, wenn anhand eines Vergleichs der Abstände der Pferde zueinander und der gelaufenen Distanzen festgestellt werden kann, dass der im Ziel noch vorhandene Vorsprung größer ist als die durch eine Behinderung verursachte zusätzliche Wegstrecke. Dies aber würde – Aufklärbarkeit der Abstände in tatsächlicher Hinsicht unterstellt – nichts Anderes bedeuten als Nr.625 RO in seinem zweiten Halbsatz so zu lesen, dass eine Beeinflussung durch Vergleich der Abstände und der gelaufenen Distanzen positiv festgestellt werden muss, um eine Disqualifizierung zu ermöglichen. Andere Faktoren, insbesondere auch reiterische Entscheidungen der von einer Behinderung betroffenen Jockeys, die sich entscheiden müssen, wie sie gegebenenfalls die Gefahr einer Kollision verhindern, sei es durch “Mitgehen”, sei es durch Aufnehmen ihres Pferdes, blieben dann insoweit außer Betracht. Mit dem Wortlaut der Vorschrift, der es generell genügen lässt, dass ohne die Behinderung ein anderes Ergebnis denkbar gewesen wäre, wäre solch eine Auslegung nicht mehr zu vereinbaren. Das Risiko, dass sich der Rennverlauf naturgemäß nicht zuverlässig hypothetisch alternativ rekonstruieren lässt, soll durch Nr.625 RO vielmehr ersichtlich dem “Behinderer” auferlegt werden. Nichts Anderes hat das Renngericht hier unter Hinweis auf die Beeinflussung des Laufweges von “T B”, der nicht mehr gefahrlos den direkten Weg zum Ziel wählen konnte, getan.
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dd. Daraus, dass ein anderes Pferd, das sich in einem anderen Rennen ähnlich verhalten haben soll wie “M T” im vorliegenden Fall, dort nicht disqualifiziert worden ist, kann die Klägerin, worauf auch das Landgericht schon zutreffend hingewiesen hat, ersichtlich nichts für sich herleiten (vgl. nur BVerfG NJW 1998, 2590 ff.); Einwände gegen diese Beurteilung werden auch von der Berufungsbegründung nicht erhoben.

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